UPDATE: Bericht über den Fleche 2008 für unsere HP
www.tsvallendorf-badsalzungen.de , deshalb in epischer Breite.
Gruß vom Jimmi
Es muss im Herbst 2005 gewesen sein, dass ich in einem Internet-Forum auf die Frage stieß: „Wer kommt mit zur Wartburg?“. Da ich ja direkt in Sichtnähe wohne war, mein Interesse geweckt und nach und nach fand ich heraus, was sich hinter der Bezeichnung „Fleche Allemagne“ verbirgt.
Es handelt sich dabei um eine Sternfahrt mit dem Fahrrad, welche jedes zweite Jahr stattfindet und die immer auf der Wartburg in Eisenach endet. Die Regeln sind einfach: Ein Team besteht aus 5 Fahrern von denen mindestens 3 im Zeitlimit ankommen müssen. Zielankunft ist 9 Uhr morgens, jedes Team darf sich seine Strecke im Vorfeld selbst heraussuchen und muss diese von der Organisation genehmigen lassen. Start ist für alle Teams 24 Stunden vorher. Die Streckenlänge muss mindestens 360 km betragen und man darf um 7 Uhr morgens nicht näher als 20 km am Zielort sein. Der Nachweis, dass die Strecke wirklich zurück gelegt wurde läuft über Stempel, die man sich zum Beispiel an Tankstellen oder Bäckereien geben lassen kann.
Die Verrückten, die solche Distanzen mit dem Rad bewältigen, nennen sich weltweit „Randonneure“, was so viel wie Herumtreiber oder (Rad-)wanderer heißt. In Deutschland sind sie in der ARA, der Audax Randonneure Allemagne, organisiert. Mit minimalem organisatorischem Aufwand werden dort bundesweit sogenannte Brevets gefahren, Ausdauerprüfungen über 200, 300, 400, 600 und 1000 km bei denen es weder Zeitnahme noch organisierte Verpflegungsstellen gibt und bei denen man lediglich im Zeitlimit (immer bezogen auf eine Minimalgeschwindigkeit von 15 km/h) ankommen muss. Alle vier Jahre findet das europaweit bedeutendste Ausdauerrennen Paris-Brest-Paris über 1200 km statt welches so etwas wie den Olymp der Randonneure bedeutet.
Über das Internet fand ich auch 2006 eine Flechegruppe und nachdem ich denen gezeigt hatte, dass ich als Schwimmer und Triathlet auch vernünftig Rad fahren kann, wurde ich von meinen Teamchef Wolfi auch dieses Jahr wieder angesprochen, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen.
So bestieg ich vergangenen Mittwoch nach der Arbeit nicht den Zug nach Eisenach, sondern begab mich mit meinem Rennrad und Minimalgepäck auf die Reise nach Erlangen. Nachdem der Anschlusszug in Hanau 45 Minuten Verspätung hatte, war ich froh, in Nürnberg mit dem Auto abgeholt zu werden, zumal es inzwischen heftigst regnete.
Als wir dann zu fünft etliche Portionen Spaghetti niederkämpften, erging es mir wie immer, wenn ich auf diese Leute treffe: Ich werde innerlich ein ganzes Stück kleiner. Alle, außer mir, fahren jedes Jahr zwischen 15 und 20.000 km mit dem Rad. Ich komme maximal auf 7000 km. Christian war im Frühjahr schon auf Trainingslager und hatte allein dort mehr Kilometer gemacht, als ich das ganze Jahr bisher mit meinen lumpigen 1300 km Vorbereitung. Er, Wolfi und Jürgen waren im Vorjahr Paris-Brest-Paris gefahren, Frank hatte die Qualifikation dafür in der Tasche, konnte aber aus anderen Gründen nicht starten. Dafür machte er aber unter anderem zwei 100 km Läufe und eine 200 km Wanderung mit. Für dieses Jahr plant er unter anderem den Swiss-Alpine-Marathon, ein Doppel aus dem 100 km Lauf von Biel und einem Marathon fast direkt im Anschluss und die Teilnahme an der Ultra-Rad-WM (
www.franktrtschka.de). Lauter illustre Gestalten also. Und ich mittenmang.
Nach einigen Gläsern Bier ging es dann kurz nach Mitternacht in die Heia. Ich hatte am Abend wohl so viel gegessen, dass ich zum Frühstück beim besten Willen nicht mehr als die übliche Menge Brötchen in mich hineinstopfen konnte, aber für unterwegs noch ein Stück Salami und Brot ergattern konnte. Kurz nach neun verließen wir dann Erlangen, um die sanften Hügel Frankens unter die Räder zu nehmen. Trockenes Wetter mit sonnigen Abschnitten, wenig Wind, grüne Felder und Wälder, ein gut trainiertes Team: Radlerherz, was willst Du mehr. Nach 50 Kilometern die erste Stempelstelle: Getränke nachkaufen und dann wieder aufs Rad. Ich hatte für unterwegs die obligatorischen Power-Riegel und –gels sowie einen Schwung Schokoriegel (Mars) dabei. Das wichtigste ernährungstechnisch ist, regelmäßig etwas zu essen. So habe ich dann nach Uhr spätestens alle 30 Minuten ein Häppchen Süßzeug zu mir genommen und auch an der Kontrolle in Coburg richtige Cola getrunken, obwohl ich das Zeug normalerweise nicht ran kann. Weiterhin habe ich fast alle Getränke unterwegs, ob klares Wasser oder Apfelsaftschorle immer zusätzlich mit Salz versetzt. Trotzdem hatte ich am Tag danach noch ein großes Defizit und habe große Teile eines Salzstreuers auf meine Pommes geschüttet.
So ging es dann Richtung Sonneberg nach Thüringen rein. Über Lauscha, Neuhaus und Schmiedefeld fuhren wir über den Thüringer Wald und etliche tolle Ausblicke ließen die Radtour zum echten Highlight werden.
Christian hing bergauf immer etwas hinterher, da er kaputte Knie hat und mehr oder weniger nur an den Pedalen ziehen kann. Dafür konnte man sich bergab und auf der Ebene gut hinter diesem 2-Meter-Mann verstecken. Jürgen und Frank gasten immer gegeneinander die Anstiege hoch. Ich hielt mich bergauf meist im Mittelfeld. Unser Teamchef Wolfi hatte zu diesem Zeitpunkt schon mit gewaltigen Magenproblemen zu kämpfen. Dadurch, dass er den ganzen Tag fast nichts herunterbekam, ließ die Leistungsfähigkeit immer mehr nach. Nach einer flotten Abfahrt erreichten wir Saalfeld. Ab dort hatte ich die Route 3 Wochen vorher schon einmal abgefahren und wusste, was uns erwartet. Nachdem wir ausnahmsweise mal in einer Spielhölle gestempelt hatten, kürzten wir planmäßig ein Stück Saalebogen ab und strampelten steil den Berg hoch und hatten oben eine schöne Aussicht über das Saaletal. Die Salami von Frühstück war in meiner Trikottasche zwar schon etwas aromatischer geworden, aber nach etlichen Stunden nur mit Süßkram war mir das egal und sie schmeckte herrlich. Mit Highspeed in einer Windstaffel ging es dann an der Saale und etlichen Burgen vorbei nach Jena herein, wo uns der ersten kurze Schauer des Tages erfrischte. Als Ort für die große Pause vor der Nachtfahrt hatten wir uns Naumburg ausgesucht. Davor liegt aber noch ein langer umbarmherziger Anstieg, der die Gruppe weit auseinander splitterte. Oben mussten wir lange auf Wolfi warten, der blass und leise fluchend hinterherkam. Vor uns lag aber erst mal nur die lange Abfahrt Richtung Abendessen.
So schlugen wir gegen neun Uhr in der Pizzeria „Firenze“ auf. Eigentlich war Konsens, nicht all zu lange zu sitzen, um wo anders noch etwas länger am Stück schlafen zu können, aber nachdem die Mega-Portionen Nudel oder Pizza vertilgt waren, knickten 3 unsere Gruppe schnell weg und so kamen wir erst nach elf Uhr wieder auf die Räder, als uns die Bedienung klarmachte, dass sie langsam gerne schließen würde.
Für die Nachtfahrt hatte jeder natürlich Licht am Rad, außerdem die vorgeschriebenen Reflektorbänder, so dass wir jederzeit gut zu sehen waren. Glücklicherweise konnten wir einen Defekt an einer Akku-Lampe schnell reparieren, denn bergab fahren ohne Licht wäre extrem fahrlässig gewesen. Es war kühl geworden und wir zogen fast alle unsere Regenjacken an. Christian hatte gegen die Müdigkeit noch eine halbe Koffein-Tablette genommen. Diese zeigte eine unglaubliche Wirkung, denn sehr weite Teile der Fahrt durch die Thüringer Nacht preschte er mit einer phänomenalen Geschwindigkeit vorneweg und wir mussten uns einfach nur in seinem Sog halten. So ging es erst nach Bad Kösen, wo wir die Saale verließen und Richtung Sömmerda pedalierten. Dort war erneute Pause gegen zwei Uhr morgens an einer immer noch gut besuchten Tankstelle. Weiter ging es über Gebesee und Döllstedt, wo wir links Richtung Fahnersche Höhen abbogen. Langsam zollten wir der langen Strecke und hohen Geschwindigkeit Tribut und krochen diesen letzten Höhenzug vor Gotha langsam herauf. Christian wollte anfangs doch noch wenigstens eine Bergwertung gewinnen, ließ sich aber schon nach kurzen aus der Spitzengruppe zurückfallen. Frank preschte wie immer voran, ich holte Jürgen auf der Hälfte ein, wartete aber auf der Kuppe auf einen verbissen kämpfenden Wolfi. Die letzten Meter bis Gotha zogen sich ewig.
Dann erreicht wir kurz nach vier unseren letzten Kontrollpunkt. Da wir von dort erst nach 7 Uhr starten durften, nahmen wir noch eine Mütze Schlaf in einem der unter Ultra-Radfahrern so beliebten EC-Hotels, sprich Bankfilial-Vorräumen, wo wir auf dem harten Boden einer Sparkasse eine gute Stunde mehr oder weniger schliefen. Ich möchte lieber nicht wissen, wie wir zu diesem Zeitpunkt gestunken haben und was sich die Putzfrau gedacht hat, die im Hauptraum ihren Besen schwang.
Der Rest ist schnell erzählt: Kurz vor Sechs weckte uns Jürgens Handy mit den Klängen von AC/DC. Um sechs fielen wir in die erstbeste Bäckerei ein, enterten das Kuchenbüffet und die Kaffeemaschine, ließen uns den letzten Stempel geben und starteten durch bis Eisenach. Leider fing es bald an zu regen, aber so kurz vor dem Ziel war uns das egal. So trafen wir und über 40 andere Teams aus ganz Deutschland und Österreich nach und nach auf der Wartburg ein. Allen waren die Strapazen anzusehen und der letzte Anstieg bis zur Burg kitzelte die letzten Reserven heraus. Drei Teams waren fast unglaubliche 600 km weit gefahren, aber auch wir mit unseren 390 km und 4000 Höhenmetern brauchten uns, glaube ich, nicht zu verstecken.
Karin wartete oben auf mich und nach dem wir Christian ins Hotel gebracht hatten, habe ich mich hundmüde erst mal ein Stunde aufs Ohr gehauen um dann um 12 Uhr zum Randonneursbuffet und der Siegerehrung im Bürgerhaus aufzulaufen.
Der Fleche ist eine Prüfung der besonderen Art, hier zählen Teamgeist und Wille, denn man kann nicht seinen eigenen Rhythmus fahren. So empfinden ich und viele andere dieses Rennen subjektiv anstrengender als, sagen wir mal, ein 400er Brevet, bei dem jeder so fahren kann, wie er will. Und gerade deshalb ist er für mich eine so große Herausforderung und hat auch dieses Jahr wahnsinnig viel Spaß gemacht.