Ich stimme Dir zu, dass die Zustände in diesen Ländern verursacht durch Religion kritikwürdig sind.
Was ich nicht verstehe: Die Leute in diesen Ländern werden Dir zweifellos irgendwelche Gründe präsentieren, warum eine Kirchen-/Religionskritik zu unterbleiben hätte. Es wäre eine ähnliche Situation wie zwischen Dir und mir, nur mit getauschten Rollen: Du wärest plötzlich derjenige, der sich mühsam rechtfertigen müsste, warum Kritik immer erlaubt sein sollte; und die anderen werden Dir sagen, warum es zu unterbleiben hätte.
Meine Position ist hier klar: Kritik muss immer erlaubt sein, und die Adressaten müssen das aushalten. Deine Position ist mir nicht so klar. Denn bei Dir ist es mal erlaubt, und mal nicht.
Zwar sehe ich Deine Unterscheidung zwischen "tut keinem weh" und "Kopf abhacken", also zwischen "Christentum in Deutschland" und "Islam in Saudi-Arabien". Aber die Leute vor Ort werden auf diese Unterscheidung nicht viel geben, weder in Deutschland noch in Saudi-Arabien. Wo immer man Gläubige fragt, werden sie sich empören.
Die bei weitem strittigste Frage in diesem Thread ist nicht theologischer oder wissenschaftlicher Art. Sondern es geht immer wieder darum, ob Kritik überhaupt vorgebracht werden darf oder soll.
Umgekehrt macht es Sinn: Wenn es selbst in Deutschland dermaßen mühsam ist, die Kirchenfürsten zu kritisieren — wie soll es dann in autokratischen System möglich sein? Aus dieser Perspektive finde ich Forderungen, in Deutschland wäre Kritik nicht angebracht, nicht überzeugend.
....Darunter verborgen, aber für die betroffenen Menschen jederzeit spürbar, ist die gesellschaftliche Herabsetzung gleichgeschlechtlicher Liebe auf breiter Front.
...
Betroffen davon sind Menschen, die am Gärtnerplatz in München oder hier in Freiburg meine Nachbarn und Freunde sind. Deren fortwährende Diskriminierung durch die Kirchen ist eine Unverschämtheit. Ich denke, ich habe jedes Recht und ausreichend Grund, mich dagegen einzusetzen.
Kritik und Zurückweisung verdient nicht nur diese religiöse Anmaßung gegenüber anderen Menschen, sondern insbesondere deren Begründung...
Müssen wir uns so etwas wirklich gefallen lassen?
Also Du Arne, der überzeugte Atheist, belesen und mit Fachwissen, erfahren durch zahlreiche Diskussion an denen Du beteiligst warst, stets wissend was überzeugende und auch wissenschaftlich belastbare Argumente gegen die Kirchen sind und wie und wann sie zielführend angewendet werden, Du Arne, Du hast Freunde die sich in einer Kirche vor einem Mann in Frauenkleidern und im Namen des Heiligen Geistes das Ja-Wort geben wollen?
Warum erklärst Du deinen Freunden nicht welchem Irrglauben und welcher verächtlichen Institution sie auf den Leim gehen würden, wenn sie die kirchliche Trauung als ein besonderes Zeichen ihrer gegenseitigen Liebe betrachten?
Oder fehlt Dir gegenüber deinen Freunden etwa die Überzeugungskraft?
In dem Fall laß dir von Jörn helfen.
Du Arne, Du hast Freunde die sich in einer Kirche vor einem Mann in Frauenkleidern und im Namen des Heiligen Geistes das Ja-Wort geben wollen?
Ja, ich habe gleichgeschlechtlich liebende Freunde und Nachbarn. Darüber hinaus Menschen des öffentlichen Lebens, die einen Menschen des gleichen Geschlechts lieben, und mir etwas bedeuten.
Ob sie alle in der Kirche heiraten wollen? Das glaube ich nicht. Manche ja, die meisten eher nicht. Manche wollen überhaupt nicht heiraten. Das ist genau so wie bei heterosexuellen Paaren.
Was sie sich allesamt wünschen, ist ein gesellschaftliches Klima der Gleichstellung. Damit ist einerseits die rechtliche Gleichstellung gemeint, andererseits die emotionale Anerkennung. Es geht darum, ob man beispielsweise in einer Gesellschaft mit seinem Partner oder seiner Partnerin Hand in Hand spazieren gehen kann. Ob man seinen homosexuellen Partner zu einem beruflichen Termin mitbringen kann, wenn die heterosexuellen Paare das tun. Ob man sich "outen" muss, oder ob man ohne gesellschaftliche Stigmatisierung leben kann.
Die Kirche verhindert nicht nur die Trauung, sondern die gesellschaftliche Gleichstellung. Darum argumentiert sie nicht – wie der Staat – mit rechtlichen Begriffen, sondern mit Gut und Böse, also mit moralisch aufgeladenen und auf dieser Ebene diskreditierenden Begriffen.
Der Vorwurf, welchen ich den Kirchen mache, ist die scheinheilige Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas. Wie ich oben bereits schrieb, ist die Verweigerung der kirchlichen Trauung nur der leicht sichtbare Gipfel des Eisbergs. Sie ist nicht der Kern der Sache. Die Kirchen nutzen ihre Autorität und Machtmittel, um gleichgeschlechtlich liebende Menschen von einer rechtlichen, gesellschaftlichen und emotionalen Gleichstellung auszuschließen. Dagegen wende ich mich.
Ähnliche Auseinandersetzungen mit den christlichen Kirchen gab es, wie qbz bereits erwähnte, auch bei anderen gesellschaftlichen Fragen, etwa der sexuellen Selbstbestimmung der Frauen, Verhütung, vorehelichem Geschlechtsverkehr, Scheidung und Wiederheirat, ärztlich begleitetem Schwangerschaftsabbruch und aktuell Sterbehilfe.
In Deinem Link geht es um eine bestimmte evangelische Landeskirche. In anderen Landeskirchen ist die Situation eine andere.
Grundsätzlich gilt in fast allen evangelischen Landeskirchen, dass der Pfarrer das letzte Wort darüber hat, ob er eine Trauung vornimmt oder nicht. Dieser Vorbehalt einer "Gewissensentscheidung" ist die typisch perfide Herabsetzung durch die Kirchen.
Ansonsten gibt es in den verschiedenen evangelischen Landeskirchen einen bunten Strauß an Regelungen, wie eine gleichgeschlechtliche Trauung möglich wäre:
vollständige Gleichstellung unter Gewissensvorbehalt
Trauung nach Entscheidung der jeweiligen Gemeinde möglich, inkl. Glockengeläut
Keine Trauung, aber Segnung im öffentlichen Gottesdienst, sofern die Gemeinde zustimmt
Segnung im öffentlichen Gottesdienst als "Akt der Seelsorge", aber keine Trauung, kein Glockengeläut
Nichtöffentliche Segnung der Partnerschaft, mit Glockengeläut
Ich erwähne dieses Durcheinander als Antwort an Schwarzfahrer, der argumentierte, die Kirche böte einfachen Menschen Orientierung. Ja, was denn nun? Sind homosexuelle Paare in der evangelischen Kirche anerkannt oder nicht?
Immer wieder gerne verweise ich auf den Disput bei Anne Will, in dem der Bischof Overbeck 2010 Rosa von Praunheim erklärt, weshalb praktizierende Homosexuelle in Sünde leben, weil das Gott so wolle, dass eben Mann und Frau Kinder zeugen. Toleranz und Akzeptanz anderer Lebensformen scheinen für den Bischof ein Fremdwort zu sein. Für homosexuelle Kirchenmitglieder, speziell vor dem Coming Out, entstehen durch solche von der Kanzel verbreiteten Lehren logischerweise grosse seelische Konflikte bis zu höheren Suicide-Risiken, weswegen auch eine öffentliche Kritik an solchem reaktionären (und unwissenschaftlichem) Gedankengut gesellschaftlich notwendig ist.
Hab ich gelesen. Mir scheint nun, die Begriffe Religionsersatz oder Ersatzreligion leben vor allem von der sehr unscharfen Verwendung des Religionsbegriffs.
Das dürfte eine wesentliche Ursache unserer Meinungsverschiedenheit sein. Für mich ist eben das die für Menschen praktisch relevante, präzise Vorstellung und Bedeutung von Religion. Für Dich und Jörn offenbar "unscharf", da ihr Religion auf die kirchlichen Dogmen reduziert.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Der Erlösungsreligion sind die Menschen abhanden gekommen, die einsähen, wovon sie erlöst werden müssten.
Dafür bemüht sich die Klimabewegung den Menschen eine neue Erlösungsvision zu bieten, Erlösung von der Sünde der Klimaschädigung durch Rückabwicklung der Industrialisierung - aber das ist ein anderes Thema.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Meine Position ist hier klar: Kritik muss immer erlaubt sein, und die Adressaten müssen das aushalten. Deine Position ist mir nicht so klar. Denn bei Dir ist es mal erlaubt, und mal nicht.
Ich sagte nie, Kritik sein nicht erlaubt. Aber Kritik muß an die richtige Adresse gerichtet werden, und trotz Deiner guten Absicht treffen Deine Formulierungen regelmäßig die Falschen (es haben schon verschiedene Teilnehmer darauf hingewiesen, warum wohl kaum wirklich Gläubige hier mitdiskutieren). Und ich halte Kritik an kirchlichen Dogmen und deren Eingriff ins öffentliche und private Leben für richtig, die Verdammung von Religion als Konzept für falsch, da das ein Grundbedürfnis der Menschlichen Psyche leugnet.
Zitat:
Zitat von Jörn
Die bei weitem strittigste Frage in diesem Thread ist nicht theologischer oder wissenschaftlicher Art. Sondern es geht immer wieder darum, ob Kritik überhaupt vorgebracht werden darf oder soll.
Nein, für mich strittig ist, an wen Kritik gerichtet wird, und wie es ausgedrückt wird, ohne die Gegenseite herabzuwürdigen.
Zitat:
Zitat von Jörn
...nde ich Forderungen, in Deutschland wäre Kritik nicht angebracht, nicht überzeugend.
Ich fordere gar nichts, ich meine nur, daß Religionskritik an deutschen Kirchenfürsten berechtigt ist, aber die wirklich großen Probleme mit Religion übersieht, und sich auf m.M.n. gesamtgesellschaftlich wenig relevante Details konzentriert. Ich sehe nun mal in den christlichen Kirchen in Deutschland eine Institution, die praktisch marginalisiert ist, sich aber an den Träumen alter Größe sich berauscht - ähnlich wie die SPD. Ignorieren kann ihren Untergang mehr beschleunigen, als besondere Aufmerksamkeit.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Immer wieder gerne verweise ich auf den Disput bei Anne Will, in dem der Bischof Overbeck 2010 Rosa von Praunheim erklärt, weshalb praktizierende Homosexuelle in Sünde leben...